Mittwoch, 26. Januar 2011

Preview: Mister Aufziehvogel


"In dieser Nacht lag ich im dunklen Schlafzimmer neben Kumiko, starrte an die Decke und fragte mich, wie viel ich von dieser Frau eigentlich wirklich wusste. Der Wecker zeigte 02.00. Sie schlief tief und fest. In der Dunkelheit dachte ich an blaue Papiertücher und gemustertes Klopapier, an Rindfleisch und grüne Paprikaschoten. Ich hatte all die Jahre mit ihr zusammengelebt, ohne auch nur zu ahnen, wie sehr sie diese Dinge hasste. Für sich genommen, waren sie ohne jede Bedeutung. Albernheiten. Dinge, über die man nur lachen konnte, über die man keine drei Worte zu verlieren brauchte. Wir hatten einen kleinen Krach gehabt, und in ein paar Tagen würden wir es schon vergessen haben.
Aber das jetzt war etwas anderes. Es quälte mich auf eine merkwürdige neue Weise, bohrte unablässig in mir wie eine dünne Fischgräte, die einem im Hals steckengeblieben ist. Vielleicht – nur vielleicht – war es weit wichtiger, als es den Anschein gehabt hatte. Vielleicht war’s das: das Ende. Oder vielleicht war es auch nur der Anfang dessen, was das Ende sein würde; und ich stand auf der Schwelle zu etwas wirklich Grossem, und darin lag eine Welt, die einzig Kumiko gehörte, eine riesige Welt, die ich nie kennengelernt hatte. Ich stellte sie mir als ein grosses dunkles Zimmer vor. Darin stand ich mit einem Feuerzeug in der Hand, dessen schwaches Licht nur den winzigsten Teil des Raumes erhellte..."

Aus: Mister Aufziehvogel. Murakami Haruki, Dumont Verlag

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